Banner Nana Petzet - Vom Erfassungstyp zur Untergruppe | multi.trudi art frankfurt special 2001

Vom Erfassungstyp zur Untergruppe

Nana Petzet in der Ausstellung im Kunstraum multi.trudi April 2001

Eine Installation zur exemplarischen Anwendung eines Kunstinventarisierungsprogramms (Hida Midas) im Hinblick auf die spezifische Einordnung von Hausmüll und Recyclingobjekten.

Von Nana Petzet, Hamburg.

Petzet Arbeitsproben

Objekte aus der Sammlung Petzet werden für die Dokumentation vorbereitet.

"Um möglichen späteren museumstechnischen Ansprüchen, bei einer Übernahme meiner umfangreichen, aus mehreren tausend Einzelstücken bestehenden Sammlung von Haushaltsabfällen, Recyclingobjekten und reparierten Gebrauchsgegenständen durch ein Museum gerecht zu werden, habe ich das Projekt "System SBF, Inventarisation der Sammlung mit HIDA MIDAS" entwickelt.

Im Rahmen der Ausstellung "Einräumen" in der Hamburger Kunsthalle wird seit Oktober 2000 eine komplette computergestützte Inventarisation meiner Sammlung erstellt. Die Verwendung des ausgeklügelten Kunstinventarisationsprogramms HIDA MIDAS wird die optimale Erhaltung der Sammlung erleichtern und die Beantwortung einer Vielzahl verschiedener wissenschaftlicher Fragestellungen erleichtern.

Dr. Horst Scholz, der Inventarisationsfachmann für die Hamburger Museen, hat mit der Einrichtung des Arbeitsplatzes in der Hamburger Kunsthalle und dem Aufbau der speziell für das Projekt zugeschnittenen Datenbank einen erheblichen Beitrag zur Verwirklichung des Projekts beigetragen. Durch die engagierte Mitarbeit der Kunststudentin Katrin Spiegel konnten bis heute 85 Objekte erfaßt und viele der immer neu auftretenden Definitionsfragen geklärt werden." (Nana Petzet)


Petzet Hamburger Kunsthalle

Foto: Installationsansicht Hamburger Kunsthalle

Inventarisierung des Alltags

Im Projekt der Künstlerin Nana Petzet: "System SBF - Inventarisation der Sammlung mit HIDA MIDAS" im Rahmen der Ausstellung "Einräumen" in der Hamburger Kunsthalle wird der Versuch unternommen, Gegenstände des Alltags, unter anderem Verpackungsabfälle, nach den Regeln musealer Praxis zu inventarisieren und in einer Datenbank detailliert wiederaufrufbar zu machen.

Es wird bewusst angestrebt, die Software (HIDA), insbesondere jedoch das verwendete Regelwerk (MIDAS) in all ihren bzw. seinen Möglichkeiten anzuwenden, um einerseits Einsichten in die Strukturen der Objekte und über das Erkenntnisinteresse und die Vorgehensweise der Künstlerin zu erhalten und andererseits zu überprüfen, inwieweit ein an den traditionellen Kunstformen des Abendlandes orientiertes und entwickeltes Regelwerk zur Klassifikation von Kunstwerken auf alltägliche Gegenstände anwendbar ist und damit auch dem erweiterten Kunstbegriff Rechnung tragen kann.

Was also ist MIDAS, das MARBURGER INVENTARISATIONS-, DOKUMENTATIONS- UND ADMINISTRATIONS-SYSTEM?

MIDAS ist ein Verfahren für die Katalogisierung (Inventarisation) und Verwaltung von Kunst- und Bauwerken mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitung. Es wurde im Bildarchiv Foto Marburg entwickelt und bietet: Ein allgemeines, flexibles Modell für die Strukturierung der Daten kunst- und bauhistorischer Sachverhalte einschließlich ihres chronologischen, geographischen, biographischen und bibliographischen Kontextes.

Ein Regelwerk für die Ansetzung historischer Entitäten und Begriffe, das bereits existierende Regelwerke anderer Wissenschafts- und Verwaltungsfelder (wie die Regeln für die alphabetische Katalogisierung aus dem Bibliotheksbereich, amtliche Ortsverzeichnisse, Grotefend, Isenburg usw.) so weit wie möglich berücksichtigt.
(Lutz Heusinger: MIDAS-Handbuch, 593 Seiten, K. G. Saur Verlag, München - New Providence - London - Paris 1994, dritte Auflage, ISBN 3-598-22087-1)

Eine Bibliothek maschinell nutzbarer Thesauri und Lexika, Kataloge und Inventare, die dem Nutzer den Aufbau homogener eigener Datenbestände wesentlich erleichtern.

Ein Datenbanksystem - HIDA - , das der Komplexität und Mannigfaltigkeit kunstgeschichtlicher Daten weitgehend gewachsen ist und doch sequentielle ASCII- und EBCDIC-Dateien mit einfachen Befehlen zu laden und zu entladen vermag, so dass es mit jedem Textverarbeitungssystem verbunden werden kann. Es beinhaltet eine Dateneingabe-Komponente, die dank ihrer besonderen Flexibilität und umfassenden maschinellen Kontrollfunktionen im Dialog die wissenschaftliche Datenerfassung unterstützt und erleichtert - nach dem Prinzip "retrieve and copy".

Das Datenbanksystem HIDA - für das Bildarchiv erarbeitet von der startext GmbH Bonn - kann mit den Betriebssystemen DOS, WINDOWS 95 und WINDOWS NT betrieben werden. Die MIDAS-Datenbank mit Informationen zu mehr als 220.000 Kunstwerken, 30.000 Künstlern neben kunsttopographischen Einheiten und 30.000 ikonographischen Themen (das gesamte ICONCLASS-System). Seit Mai 1995 wird dieser Datenbestand auch jährlich auf CD-ROM publiziert (Marburger Index Datenbank, Saur-Verlag).

Das mit MIDAS verbundene ikonographische Schlagwortsystem ICONCLASS {= Iconographic Classification System) ermöglicht eine weitgehend sprachunabhängige Indizierung der Darstellungsinhalte. Da die Ikonographie ein zentraler Gegenstand musealer Praxis ist soll ICONCLASS im Projekt System SBF - Inventarisation der Sammlung mit HIDA MIDAS" eingesetzt und hier kurz erläutert werden. Das System wurde 1944 vom niederländischen Kunsthistoriker Henri van de Waal konzipiert und zwischen 1974 und 1985 vom Kunsthistorischen Institut der Universität Leiden publiziert. ICONCLASS ist ein Dezimalklassifikationssystem, das mit alpha-numerischen Kodierungen arbeitet. In Verbindung mit den Möglichkeiten der Elektronischen Datenverarbeitung erweist sich dieses System als besonders leistungsstarker Thesaurus. Ausgehend von neun Hauptgruppen

1. Religion und Magie;
2. Natur;
3. Mensch;
4.Gesellschaft, Zivilisation und Kultur;
5. Abstrakte Ideen und Konzepte;
6. Geschichte;
7. Bibel;
8. Literatur
9. Antike Mythologie und Geschichte

wird durch weitere Unterteilungen in Untergruppen nahezu jede Entität eindeutig benennbar. Ein Beispiel sei hier aufgeführt:

"46 C 22 34 1" bedeutet "Hafenkran" {dock crane) .
Der Dezimalcode beinhaltet "46 C 22 34" {= Hafenausstattung <harbour equipment>}, "46 C 22 3" {= Hafen <harbour> },
"46 C 22" {= Hafen und sein geschäftliches Umfeld <= harbouring> },
"46 C 2" {= Wasserverkehr <traffic on water>} ,
"46 C" {= Verkehr und Transport <traffic and transport>}
"46" {= soziales und ökonomisches Leben, Transport und Kommunikation <social and economic life, transport and coromunication>},
"4" {= Gesellschaft, Zivilisation und Kultur <society, civilisation und culture>}.

Die Vergabe einer Notation für Hafenkran beinhaltet also insgesamt acht Schlagwörter, davon sieben Oberbegriffe, die mit den Mitteln einer Datenbank einzeln abfragbar sind. Es wird im Laufe der Projektarbeit herauszufinden sein, ob sich die auf den Alltagsgegenständen (Milchtüten, Joghurtbechern, Plastikfolien etc.) zu findenden Darstellungen dem System entziehen oder ob ein Motivindex der Alltagsgegenstände erstellt werden kann.

System SBF, Inventarisation der Sammlung mit HIDA MIDAS Stand 7.12.2000
Horst Scholz

© multi.trudi 2001 (last update 18.2. 2013)